Das Projekt seines Lebens

Freuen sich riesig auf den außergewöhnlichen Halbmarathon (v.l.): Tobias Rieger, Lehrer Marcel Krug, Karola Vahland (Schulleiterin staatliche Berufsschule im Berufsbildungswerk Nordhessen) und Christine Saur (Leiterin Berufsbildungswerk Nordhessen).'
Foto: Heike Saure/BBW Nordhessen


Schaut man auf den Wetterbericht für Kassel am Wochenende könnte es nass, kalt und ungemütlich werden. Und auch anstrengend, ja sogar schmerzhaft, aber sicher auch einmalig und unvergesslich.

Denn was der Berufsschüler des BBW Nordhessen Tobias Rieger und sein Klassenlehrer Marcel Krug am Sonntag vorhaben, ist nicht nur eine Premiere beim Kassel Marathon, sondern ein einzigartiges Projekt für den an spastischer Zerebralparese leidenden 35-jährigen Auszubildenden zum Fachpraktiker für Bürokommunikation.
Nicht jeder hat so einen sportlichen Klassenlehrer wie den 19-fachen Ironman Marcel Krug, der seinen Schüler mit einem speziellen Buggy durch die Straßen Kassels laufend schieben wird. Vor der Haupttribüne im Auestadion möchte Tobias Rieger die letzten 100 Meter schließlich mit seinem Rollator alleine bis über die Ziellinie zurücklegen. Motivation ist für ihn, seine Krankheit bekannter zu machen, mit Stigmata aufzuräumen und ein neues Bewusstsein für Menschen mit Zerebralparese zu schaffen.
Eine Sonntagsspazierfahrt wird es für Tobias Rieger nicht, auch wenn er 21 Kilometer der 21,1 km langen Strecke im Buggy sitzt, denn seine Muskeln brauchen Bewegung um nicht zu verhärten und sich zusammenzuziehen. Deshalb trainiert der sportbegeisterte junge Mann auch selbst im Rahmen seiner Möglichkeiten, Schwimmen ist für ihn der ideale Sport. Als ihn sein Klassenlehrer auf dieses Projekt ansprach, musste er nicht lange überlegen.

„Das wird ein einzigartiges Erlebnis für mich“, freut er sich schon sehr auf die Teilnahme am Halbmarathon. Angetrieben wird er dabei von dem Wunsch, seine Krankheit bekannter zu machen. Selbst erlitt er im Alter von sechs Monaten bei einer Herzkatheteruntersuchung einen Schlaganfall, infolge dessen er eine spastische Zerebralparese entwickelte. Und auch wenn seine Krankheit übersetzt Hirnlähmung bedeutet, möchte er diesen Begriff nicht so stehen lassen. Denn Jahrzehnte wurde er als geistig behinderter Mensch abgestempelt, ihm wurde von einer Ausbildung abgeraten und er wurde schlichtweg falsch eingeschätzt. Hört man den 35-Jährigen, der inzwischen in Korbach in einer Wohngemeinschaft lebt, heute sprechen, kann man es kaum glauben, doch es brauchte eine Menge Courage und auch den Anstoß von seiner Schwester, dass er sich schließlich doch für eine Ausbildung entschied. Nach der Ausbildung zieht es ihn nach Bad Wildungen, wo er sich die Arbeit am Empfang in einer Rehaklinik vorstellen könnte. „Ich möchte nicht mit mentaler Einschränkung gleichgesetzt werden“, so Rieger, der sich bewusst ist, dass er Unterstützung braucht. „Aber nicht in die falsche Richtung“, stellt er klar. Dabei sieht er sich nicht nur als Kämpfer für seine Rechte, sondern steht auch für seine Mitschüler, von denen einige selbst die Erfahrung gemacht haben, in bestimmte Schubladen gesteckt worden zu sein, ein.

Bei seinem Vorhaben am Sonntag haben er und sein Lehrer sowie das Supportteam aus Fahrradbegleitung und Ersatzläufer jede erdenkliche Unterstützung Organisatoren des Kassel Marathons erhalten. Und auch die Staatliche Berufsschule im BBW Nordhessen steht voll und ganz hinter dem Vorhaben. Der eigens dafür angeschaffte Buggy geht gar auf die Kappe von Sportlehrer Marcel Krug, für den bei der Vorbereitung ein Rad ins andere gegriffen hat. „Saug auf, was das Publikum dir gibt, steck es in ein Kästchen und hol es raus, wenn du es in schlechten Phasen brauchst“, gibt Krug seinem Schützling einen Rat mit auf den Weg.
Bleibt nur noch, dem #teamrieger mit Startnummer 1918 die Daumen zu drücken. Der Zieleinlauf ist gegen 11:45 Uhr geplant. 

(Heike Saure)